ENZYKLIKA PAPST PAULS VI.
ÜBER DIE RECHTE ORDNUNG
DER WEITERGABE
MENSCHLICHEN LEBENS
AN DIE EHRWÜRDIGEN BRÜDER
DIE PATRIARCHEN,
DIE ERZBISCHÖFE, BISCHÖFE
UND DIE ÜBRIGEN ORTSORDINARIEN,
DIE MIT DEM APOSTOLISCHEN STUHL
IN FRIEDEN UND GEMEINSCHAFT LEBEN,
AN DEN KLERUS
UND DIE CHRISTGLÄUBIGEN
DES GANZEN KATHOLISCHEN ERDKREISES
SOWIE AN ALLE MENSCHEN GUTEN WILLENS
PAPST PAUL VI.
Ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter! Gruss und Apostolischen Segen!
DIE WEITERGABE DES LEBENS
1. Die überaus ernste Aufgabe, menschliches Leben weiterzugeben, durch die die Gatten freie und bewusste Mitarbeiter des Schöpfergottes sind, erfüllt sie immer mit grosser Freude; doch ist die Freude vielfach mit nicht geringen Schwierigkeiten und Bedrängnissen verbunden.
Zu allen Zeiten stellte die Erfüllung dieser Aufgabe das Gewissen der Gatten vor schwere Probleme. Die jüngste Entwicklung jedoch, die die menschliche Gesellschaft nimmt, bringt derartige Veränderungen mit sich, dass sich neue Fragen erheben, denen die Kirche sich stellen muss, weil sie aufs engste mit menschlichem Leben und Glück zusammenhängen.
I.
NEUE PROBLEMSTELLUNGEN
2. Die Veränderungen sind wirklich bedeutsam und verschiedenartig. Zunächst handelt es sich um die rasche Bevölkerungszunahme: viele fürchten, dass die Weltbevölkerung schneller zunimmt, als die zur Verfügung stehende Nahrung erlaubt. Dadurch wächst die Not in vielen Familien und in den Entwicklungsländern. Das kann staatliche Regierungen leicht dazu drängen, diese Gefahr mit radikalen Massnahmen zu bekämpfen. Dazu erschweren nicht nur Arbeits- und Wohnverhältnisse, sondern auch gesteigerte Ansprüche wirtschaftlicher Art und im Hinblick auf die Erziehung und den Unterricht der Jugend den angemessenen Unterhalt einer grösseren Zahl von Kindern.
Wir erleben auch einen gewissen Wandel in der Auffassung von der Persönlichkeit der Frau und ihrer Aufgabe in der menschlichen Gesellschaft, ebenso in der Auffassung vom Wert der Gattenliebe in der Ehe und in der Beurteilung des ehelichen Verkehrs im Hinblick auf diese Liebe.
Schliesslich ist vor allem der staunenswerte Fortschritt des Menschen in der Beherrschung der Naturkräfte und deren rationaler Auswertung in Betracht zu ziehen. Diese Herrschaft sucht nun der Mensch auf sein ganzes Leben auszudehnen: auf seinen Körper, seine seelischen Kräfte, auf das soziale Leben und selbst auf die Gesetze, die die Weitergabe des Lebens regeln.
3. Diese Sachlage wirft neue Fragen auf. Wäre es nicht angebracht, angesichts der gegenwärtigen Lebensverhältnisse und der Bedeutung, die der eheliche Verkehr für die Harmonie und gegenseitige Treue der Gatten hat, die heute geltenden sittlichen Normen zu überprüfen? Zumal, wenn man erwägt, dass diese unter Umständen nur unter heroischen Opfern befolgt werden können?
Könnte nicht das sogenannte Ganzheitsprinzip auf diesen Bereich angewandt werden und damit die Planung einer weniger grossen, aber vernünftig geregelten Fruchtbarkeit einen physisch unfruchtbar machenden Akt in eine erlaubte und vorausschauende Geburtenlenkung verwandeln? Kann man nicht die Meinung vertreten, dass das Ziel des Dienstes an der Fortpflanzung mehr dem Eheleben als Ganzem aufgegeben sei als jedem einzelnen Akt? Man stellt auch die Frage, ob bei dem gesteigerten Verantwortungsbewusstsein des heutigen Menschen nicht die Zeit gekommen sei, wo die Weitergabe des Lebens mehr von Vernunft und freier Entscheidung bestimmt werden sollte als von gewissen biologischen Regelmässigkeiten.
ZUSTÄNDIGKEIT DES LEHRAMTES
4. Zweifellos forderten solche Fragen vom kirchlichen Lehramt eine neue und vertiefte Überlegung über die Prinzipien der Ehemoral, die ihre Grundlage im natürlichen Sittengesetz haben, das durch die göttliche Offenbarung erhellt und bereichert wird.
Kein gläubiger Christ wird bestreiten, dass die Auslegung des natürlichen Sittengesetzes zur Aufgabe des kirchlichen Lehramtes gehört. Denn zweifellos hat - wie Unsere Vorgänger wiederholt ausgesprochen haben1 Christus Jesus, als er dem Petrus und den übrigen Aposteln an seiner göttlichen Gewalt Anteil gab und sie aussandte, alle Völker zu lehren, was er uns geboten hat,2 sie zu zuverlässigen Wächtern und Auslegern des ganzen Sittengesetzes bestellt, das heisst nicht nur des evangelischen, sondern auch des natürlichen Sittengesetzes. Denn auch das natürliche Sittengesetz bringt den Willen Gottes zum Ausdruck, und dessen treue Befolgung ist ja allen Menschen zum ewigen Heil notwendig.3
In Erfüllung dieses Auftrags hat sich die Kirche zu allen Zeiten, besonders oft in letzter Zeit über die Natur der Ehe, über die sittlich geordnete Inanspruchnahme der ehelichen Rechte und die Pflichten der Eheleute in übereinstimmenden Dokumenten geäussert.4
SPEZIELLE STUDIEN
5. Im Bewusstsein dieser gleichen Aufgabe haben Wir den von Unserm Vorgänger Johannes XXIII. im März 1963 eingesetzten Ausschuss bestätigt und erweitert. Ihm gehörten ausser vielen Gelehrten aus den betreffenden Fachgebieten auch Ehepaare an. Dieser Ausschuss sollte Gutachten einholen über die Fragen, die das eheliche Leben und vor allem die sittlich geordnete Geburtenregelung aufwirft; er sollte darüber hinaus die Ergebnisse seiner Studien so vorlegen, dass das kirchliche Lehramt eine den Erwartungen nicht nur der Gläubigen, sondern auch der übrigen Welt entsprechende Antwort geben könnte.5 Das Forschungsergebnis der Sachkundigen und die Gutachten vieler Unserer Brüder im Bischofsamt, die sie teils aus eigenem Antrieb einsandten, die teils von Uns erbeten waren, erlaubten Uns, dieses vielseitige Problem von allen Seiten aus sorgfältiger zu bedenken. Deshalb sagen Wir allen von Herzen Dank.
DIE ANTWORT DES LEHRAMTS
6. Die Folgerungen jedoch, zu denen der Ausschuss gelangt war, konnten für Uns kein sicheres und endgültiges Urteil darstellen, das Uns der Pflicht enthoben hätte, ein so bedeutsames Problem zum Gegenstand Unserer persönlichen Erwägung zu machen. Das war auch deshalb notwendig, weil es in der Vollversammlung des Ausschusses nicht zu einer vollen Übereinstimmung der Auffassungen über die vorzulegenden sittlichen Normen gekommen war; und vor allem, weil einige Lösungsvorschläge auftauchten, die von der Ehemoral, wie sie vom kirchlichen Lehramt bestimmt und beständig vorgelegt wurde, abwichen.
Daher wollen Wir nun nach genauer Prüfung der Uns zugesandten Akten, nach reiflicher Überlegung, nach inständigem Gebet zu Gott, in Kraft des von Christus Uns übertragenen Auftrags auf diese schwerwiegenden Fragen Unsere Antwort geben.
II.
GESAMTSCHAU DES MENSCHEN
7. Die Frage der Weitergabe menschlichen Lebens darf - wie jede andere Frage, die das menschliche Leben angeht - nicht nur unter biologischen, psychologischen, demographischen, soziologischen Gesichtspunkten gesehen werden; man muss vielmehr den ganzen Menschen im Auge behalten, die gesamte Aufgabe, zu der er berufen ist; nicht nur seine natürliche und irdische Existenz, sondern auch seine übernatürliche und ewige. Da nun viele, die sich für künstliche Geburtenregelung einsetzen, sich dabei auf die Forderungen der ehelichen Liebe und der verantwortlichen Elternschaft berufen, ist es nötig, diese beiden bedeutsamen Elemente des ehelichen Lebens genauer zu bestimmen und zu beleuchten. - Dabei wollen Wir vor allem zurückgreifen auf die Pastoralkonstitution «Gaudium et Spes», in der sich jüngst das Zweite Vatikanische Konzil mit sehr hoher Autorität dazu geäussert hat.
DIE EHELICHE LIEBE
8. Die eheliche Liebe zeigt sich uns in ihrem wahren Wesen und Adel, wenn wir sie von ihrem Quellgrund her sehen; von Gott, der «Liebe ist6», von ihm, dem Vater, «nach dem alle Vaterschaft im Himmel und auf Erden ihren Namen trägt7».
Weit davon entfernt, das blosse Produkt des Zufalls oder Ergebnis des blinden Ablaufs von Naturkräften zu sein, ist die Ehe in Wirklichkeit vom Schöpfergott in weiser Voraussicht so eingerichtet, dass sie in den Menschen seinen Liebesplan verwirklicht. Darum streben Mann und Frau durch ihre gegenseitige Hingabe, die ihnen in der Ehe eigen und ausschliesslich ist, nach jener personalen Gemeinschaft, in der sie sich gegenseitig vollenden, um mit Gott zusammenzuwirken bei der Weckung und Erziehung neuen menschlichen Lebens.
Darüber hinaus hat für die Getauften die Ehe die hohe Würde eines sakramentalen Gnadenzeichens, und bringt darin die Verbundenheit Christi mit seiner Kirche zum Ausdruck.
EIGENART DER EHELICHEN LIEBE
9. In diesem Licht wird die besondere Eigenart und Forderung der ehelichen Liebe deutlich. Es kommt sehr darauf an, dass man davon die rechte Vorstellung hat.
An erster Stelle müssen wir sie als vollmenschliche Liebe sehen; das heisst als sinnenhaft und geistig zugleich. Sie entspringt darum nicht nur Trieb und Leidenschaft, sondern auch und vor allem einem Entscheid des freien Willens, der darauf hindrängt, in Freud und Leid des Alltags durchzuhalten, ja dadurch stärker zu werden: so werden dann die Gatten ein Herz und eine Seele und kommen gemeinsam zu ihrer menschlichen Vollendung.
Weiterhin ist es Liebe, die aufs Ganze geht, jene besondere Form personaler Freundschaft, in der die Gatten alles grossherzig miteinander teilen, weder unberechtigte Vorbehalte machen noch ihren eigenen Vorteil suchen. Wer seinen Gatten wirklich liebt, liebt ihn um seiner selbst willen, nicht nur wegen dessen, was er von ihm empfängt. Und es ist seine Freude, dass er durch seine Ganzhingabe bereichern darf.
Die Liebe der Gatten ist zudem treu und ausschliesslich bis zum Ende des Lebens; so wie sie Braut und Bräutigam an jenem Tag verstanden, da sie sich frei und klar bewusst durch das gegenseitige eheliche Jawort aneinander gebunden haben. Niemand kann behaupten, dass die Treue der Gatten - mag sie auch bisweilen schwer werden - unmöglich sei. Im Gegenteil. Zu allen Zeiten hatte sie ihren Adel und reiche Verdienste. Beispiele sehr vieler Ehepaare im Lauf der Jahrhunderte sind der Beweis dafür: Treue entspricht nicht nur dem Wesen der Ehe, sie ist darüber hinaus eine Quelle innigen, dauernden Glücks.
Diese Liebe ist schliesslich fruchtbar, da sie nicht ganz in der ehelichen Vereinigung aufgeht, sondern darüber hinaus fortzudauern strebt und neues Leben wecken will. «Ehe und eheliche Liebe sind ihrem Wesen nach auf die Zeugung und Erziehung von Nachkommenschaft ausgerichtet. Kinder sind gewiss die vorzüglichste Gabe für die Ehe und tragen zum Wohl der Eltern selbst sehr bei.8»
VERANTWORTLICHE ELTERNSCHAFT
10. Deshalb fordert die Liebe von den Ehegatten, dass sie ihre Aufgabe verantwortlicher Elternschaft richtig erkennen. Diese Aufgabe, auf die man heute mit gutem Recht ganz besonderen Wert legt, muss darum richtig verstanden werden. Sie muss aber unter verschiedenen, berechtigten, miteinander zusammenhängenden Gesichtspunkten betrachtet werden.
Was zunächst die biologischen Vorgänge angeht, bedeutet verantwortungsbewusste Elternschaft die Kenntnis und die Beachtung der mit ihnen zusammenhängenden Funktionen. So vermag der Mensch in seinen Fortpflanzungskräften die biologischen Gesetze zu entdecken, die zur menschlichen Person gehören.9
Was dann psychologisch Trieb und Leidenschaft betrifft, so meint verantwortungsbewusste Elternschaft ihre erforderliche Beherrschung durch Vernunft und Willen.
Im Hinblick schliesslich auf die gesundheitliche, wirtschaftliche, seelische und soziale Situation bedeutet verantwortungsbewusste Elternschaft, dass man entweder, nach klug abwägender Überlegung, sich hochherzig zu einem grösseren Kinderreichtum entschliesst, oder bei ernsten Gründen und unter Beobachtung des Sittengesetzes zur Entscheidung kommt, zeitweise oder dauernd auf weitere Kinder zu verzichten.
Endlich und vor allem hat verantwortungsbewusste Elternschaft einen inneren Bezug zur sogenannten objektiven sittlichen Ordnung, die auf Gott zurückzuführen ist, und deren Deuterin das rechte Gewissen ist. Die Aufgabe verantwortungsbewusster Elternschaft verlangt von den Gatten, dass sie in Wahrung der rechten Güter- und Wertordnung ihre Pflichten gegenüber Gott, sich selbst, gegenüber ihrer Familie und der menschlichen Gesellschaft anerkennen.
Daraus folgt, dass sie bei der Aufgabe, das Leben weiterzugehen, keineswegs ihrer Willkür folgen dürfen, gleichsam als hinge die Bestimmung der sittlich gangbaren Wege von ihrem eigenen und freien Ermessen ab. Sie sind vielmehr verpflichtet, ihr Verhalten auf den göttlichen Schöpfungsplan auszurichten, der einerseits im Wesen der Ehe selbst und ihrer Akte zum Ausdruck kommt, den anderseits die beständige Lehre der Kirche kundtut.10
ACHTUNG VOR DEM WESEN UND DER ZIELSETZUNG DES EHELICHEN AKTES
11. Jene Akte, die eine intime und keusche Vereinigung der Gatten darstellen und die das menschliche Leben weitertragen, sind, wie das letzte Konzil betont hat, «zu achten und zu ehren11»; sie bleiben auch sittlich erlaubt bei vorauszusehender Unfruchtbarkeit, wenn deren Ursache keineswegs im Willen der Gatten liegt; denn die Bestimmung dieser Akte, die Verbundenheit der Gatten zum Ausdruck zu bringen und zu bestärken, bleibt bestehen. Wie die Erfahrung lehrt, geht tatsächlich nicht aus jedem ehelichen Verkehr neues Leben hervor. Gott hat ja die natürlichen Gesetze und Zeiten der Fruchtbarkeit in seiner Weisheit so gefügt, dass diese schon von selbst Abstände in der Aufeinanderfolge der Geburten schaffen. Indem die Kirche die Menschen zur Beobachtung des von ihr in beständiger Lehre ausgelegten natürlichen Sittengesetzes anhält, lehrt sie nun, dass «jeder eheliche Akt» von sich aus auf die Erzeugung menschlichen Lebens hingeordnet bleiben muss.12
UNTRENNBARKEIT VON LIEBENDER VEREINIGUNG UND FORTPFLANZUNG
12. Diese vom kirchlichen Lehramt oft dargelegte Lehre gründet in einer von Gott bestimmten unlösbaren Verknüpfung der beiden Sinngehalte - liebende Vereinigung und Fortpflanzung -, die beide dem ehelichen Akt innewohnen. Diese Verknüpfung darf der Mensch nicht eigenmächtig auflösen.
Seiner innersten Struktur nach befähigt der eheliche Akt, indem er den Gatten und die Gattin aufs engste miteinander vereint, zugleich zur Zeugung neuen Lebens, entsprechend den Gesetzen, die in die Natur des Mannes und der Frau eingeschrieben sind. Wenn die beiden wesentlichen Gesichtspunkte der liebenden Vereinigung und der Fortpflanzung beachtet werden, behält der Verkehr in der Ehe voll und ganz den Sinngehalt gegenseitiger und wahrer Liebe, und seine Hinordnung auf die erhabene Aufgabe der Elternschaft, zu der der Mensch berufen ist. Unserer Meinung nach sind die Menschen unserer Zeit durchaus imstande, die Vernunftgemässheit dieser Lehre zu erfassen.
TREUE ZUM SCHÖPFUNGSPLAN GOTTES
13. Man weist ja mit Recht darauf hin, dass ein dem Partner aufgenötigter Verkehr, der weder auf sein Befinden noch auf seine berechtigten Wünsche Rücksicht nimmt, kein wahrer Akt der Liebe ist, dass solche Handlungsweise vielmehr dem widerspricht, was mit Recht die sittliche Ordnung für das Verhältnis der beiden Gatten zueinander verlangt. Ebenso muss man dann auch, wenn man darüber nachdenkt, zugeben: Ein Akt gegenseitiger Liebe widerspricht dem göttlichen Plan, nach dem die Ehe entworfen ist, und dem Willen des ersten Urhebers menschlichen Lebens, wenn er der vom Schöpfergott in ihn nach besonderen Gesetzen hineingelegten Eignung, zur Weckung neuen Lebens beizutragen, abträglich ist. Wenn jemand daher einerseits Gottes Gabe geniesst und anderseits - wenn auch nur teilweise -Sinn und Ziel dieser Gabe ausschliesst, handelt er somit im Widerspruch zur Natur des Mannes und der Frau und deren inniger Verbundenheit; er stellt sich damit gegen Gottes Plan und heiligen Willen. Wer das Geschenk ehelicher Liebe geniesst und sich dabei an die Zeugungsgesetze hält, der verhält sich nicht, als wäre er Herr über die Quellen des Lebens, sondern er stellt sich vielmehr in den Dienst des auf den Schöpfer zurückgehenden Planes. Wie nämlich der Mensch ganz allgemein keine unbeschränkte Verfügungsmacht über seinen Körper hat, so im besonderen auch nicht über die Zeugungskräfte als solche, sind doch diese ihrer innersten Natur nach auf die Weckung menschlichen Lebens angelegt, dessen Ursprung Gott ist. «Das menschliche Leben muss allen etwas Heiliges sein», mahnt Unser Vorgänger Johannes XXIII., «denn es verlangt von seinem ersten Aufkeimen an das schöpferische Eingreifen Gottes.13.»
UNERLAUBTE WEGE DER GEBURTENREGELUNG
14. Gemäss diesen fundamentalen Grundsätzen menschlicher und christlicher Eheauffassung müssen Wir noch einmal öffentlich erklären: Der direkte Abbruch einer begonnenen Zeugung, vor allem die direkte Abtreibung - auch wenn zu Heilzwecken vorgenommen -, sind kein rechtmässiger Weg, die Zahl der Kinder zu beschränken, und daher absolut zu verwerfen.14
Gleicherweise muss, wie das kirchliche Lehramt des öfteren dargetan hat, die direkte, dauernde oder zeitlich begrenzte Sterilisierung des Mannes oder der Frau verurteilt werden.15
Ebenso ist jede Handlung verwerflich, die entweder in Voraussicht oder während des Vollzugs des ehelichen Aktes oder im Anschluss an ihn beim Ablauf seiner natürlichen Auswirkungen darauf abstellt, die Fortpflanzung zu verhindern, sei es als Ziel, sei es als Mittel zum Ziel.16 Man darf, um diese absichtlich unfruchtbar gemachten ehelichen Akte zu rechtfertigen, nicht als Argument geltend machen, man müsse das Übel wählen, das als das weniger schwere erscheine; auch nicht, dass solche Akte eine gewisse Einheit darstellen mit früheren oder nachfolgenden fruchtbaren Akten und deshalb an ihrer einen und gleichen Gutheit teilhaben. Wenn es auch zuweilen erlaubt ist, das kleinere sittliche Übel zu dulden, um ein grösseres zu verhindern oder um etwas sittlich Höherwertiges zu fördern17, so ist es dennoch niemals erlaubt -auch aus noch so ernsten Gründen nicht -, Böses zu tun um eines guten Zweckes willen18: das heisst etwas zu wollen, was seiner Natur nach die sittliche Ordnung verletzt und deshalb als des Menschen unwürdig gelten muss; das gilt auch, wenn dies mit der Absicht geschieht, das Wohl des einzelnen, der Familie oder der menschlichen Gesellschaft zu schützen oder zu fördern. Völlig irrig ist deshalb die Meinung, ein absichtlich unfruchtbar gemachter und damit in sich unsittlicher ehelicher Akt könne durch die fruchtbaren ehelichen Akte des gesamtehelichen Lebens seine Rechtfertigung erhalten.
ERLAUBTE THERAPEUTISCHE MITTEL
15. Die Kirche hält aber jene therapeutischen Massnahmen, die zur Heilung körperlicher Krankheiten notwendig sind, nicht für unerlaubt, auch wenn daraus aller Voraussicht nach eine Zeugungsverhinderung eintritt. Voraussetzung dabei ist, dass diese Verhinderung nicht aus irgendeinem Grunde direkt angestrebt wird.19
ERLAUBTE INANSPRUCHNAHME DER UNFRUCHTBAREN PERIODEN
16. Doch dieser Lehre der Kirche über die Gestaltung der ehelichen Sittlichkeit halten einige heute entgegen, wie schon oben (Nr. 3) erwähnt, es sei Recht und Aufgabe der menschlichen Vernunft, die ihr von der Naturwelt dargebotenen Kräfte zu steuern und auf Ziele auszurichten, die dem Wohl des Menschen entsprechen. Ja, man fragt: Ist nicht in diesem Zusammenhang in vielen Situationen künstliche Geburtenregelung vernünftiger, wenn man nämlich damit mehr Frieden und Eintracht in der Familie erreichen und für die Erziehung schon lebender Kinder bessere Bedingungen schaffen kann? Auf diese Frage ist entschieden zu antworten: Die Kirche ist die erste, die den Einsatz der menschlichen Vernunft anerkennt und empfiehlt, wenn es um ein Werk geht, das den vernunftbegabten Menschen so eng mit seinem Schöpfer verbindet; aber ebenso betont sie, dass man sich dabei an die von Gott gesetzte Ordnung halten muss.
Wenn also gerechte Gründe dafür sprechen, Abstände einzuhalten in der Reihenfolge der Geburten - Gründe, die sich aus der körperlichen oder seelischen Situation der Gatten oder aus äusseren Verhältnissen ergeben -, ist es nach kirchlicher Lehre den Gatten erlaubt, dem natürlichen Zyklus der Zeugungsfunktionen zu folgen, dabei den ehelichen Verkehr auf die empfängnisfreien Zeiten zu beschränken und die Kinderzahl so zu planen, dass die oben dargelegten sittlichen Grundsätze nicht verletzt werden.20.
Die Kirche bleibt sich und ihrer Lehre treu, wenn sie einerseits die Berücksichtigung der empfängnisfreien Zeiten durch die Gatten für erlaubt hält, andererseits den Gebrauch direkt empfängnisverhütender Mittel als immer unerlaubt verwirft - auch wenn für diese andere Praxis immer wieder ehrbare und schwerwiegende Gründe angeführt werden. Tatsächlich handelt es sich um zwei ganz unterschiedliche Verhaltensweisen: bei der ersten machen die Eheleute von einer naturgegebenen Möglichkeit rechtmässig Gebrauch; bei der anderen dagegen hindern sie den Zeugungsvorgang bei seinem natürlichen Ablauf. Zweifellos sind in beiden Fällen die Gatten sich einig, dass sie aus guten Gründen Kinder vermeiden wollen, und dabei möchten sie auch sicher sein. Jedoch ist zu bemerken, dass nur im ersten Fall die Gatten sich in fruchtbaren Zeiten des ehelichen Verkehrs enthalten können, wenn aus berechtigten Gründen keine weiteren Kinder mehr wünschenswert sind. In den empfängnisfreien Zeiten aber vollziehen sie dann den ehelichen Verkehr zur Bezeugung der gegenseitigen Liebe und zur Wahrung der versprochenen Treue. Wenn die Eheleute sich so verhalten, geben sie wirklich ein Zeugnis der rechten Liebe.
ERNSTE FOLGEN DER METHODEN EINER KÜNSTLICHEN GEBURTENREGELUNG
17. Verständige Menschen können sich noch besser von der Wahrheit der kirchlichen Lehre überzeugen, wenn sie ihr Augenmerk auf die Folgen der Methoden der künstlichen Geburtenregelung richten. Man sollte vor allem bedenken, wie bei solcher Handlungsweise sich ein breiter und leichter Weg einerseits zur ehelichen Untreue, anderseits zur allgemeinen Aufweichung der sittlichen Zucht auftun könnte. Man braucht nicht viel Erfahrung, um zu wissen, wie schwach der Mensch ist, und um zu begreifen, dass der Mensch - besonders der jugendliche, der gegenüber seiner Triebwelt so verwundbar ist - anspornender Hilfe bedarf, um das Sittengesetz zu beobachten, und dass es unverantwortlich wäre, wenn man ihm die Verletzung des Gesetzes selbst erleichterte. Auch muss man wohl befürchten: Männer, die sich an empfängnisverhütende Mittel gewöhnt haben, könnten die Ehrfurcht vor der Frau verlieren, und, ohne auf ihr körperliches Wohl und seelisches Gleichgewicht Rücksicht zu nehmen, sie zum blossen Werkzeug ihrer Triebbefriedigung erniedrigen und nicht mehr als Partnerin ansehen, der man Achtung und Liebe schuldet.
Schliesslich ist sehr zu bedenken, welch gefährliche Macht man auf diese Weise jenen staatlichen Behörden in die Hand gäbe, die sich über sittliche Grundsätze hinwegsetzen. Wer könnte es Staatsregierungen verwehren, zur Überwindung der Schwierigkeiten ihrer Nationen für sich in Anspruch zu nehmen, was man Ehegatten als erlaubte Lösung ihrer Familienprobleme zugesteht? Wer könnte Regierungen hindern, empfängnisverhütende Methoden zu fördern, die ihnen am wirksamsten zu sein scheinen, ja sogar ihre Anwendung allgemein vorzuschreiben, wo immer es ihnen notwendig erscheint? Auf diese Weise könnte es geschehen, dass man, um Schwierigkeiten persönlicher, familiärer oder sozialer Art, die sich aus der Befolgung des göttlichen Gesetzes ergeben, zu vermeiden, es dem Ermessen staatlicher Behörden zugestände, sich in die ganz persönliche und intime Aufgabe der Eheleute einzumischen.
Will man nicht den Dienst an der Weitergabe des Lebens menschlicher Willkür überlassen, dann muss man für die Verfügungsmacht des Menschen über den eigenen Körper und seine natürlichen Funktionen unüberschreitbare Grenzen anerkennen, die von niemand, sei es Privatperson oder öffentliche Autorität, verletzt werden dürfen. Diese Grenzen bestimmen sich einzig aus der Ehrfurcht, die dem menschlichen Leibe in seiner Ganzheit und seinen natürlichen Funktionen geschuldet wird: und zwar entsprechend den oben dargelegten Grundsätzen und dem recht verstandenen sogenannten Ganzheitsprinzip, so wie es Unser Vorgänger Pius XII. erläutert hat.21
DIE KIRCHE ALS GARANT DER WAHREN WERTE DES MENSCHEN
18. Es ist vorauszusehen, dass vielleicht nicht alle diese überkommene Lehre ohne weiteres annehmen werden-, es werden sich, verstärkt durch die modernen Kommunikationsmittel, zu viele Gegenstimmen gegen das Wort der Kirche erheben. Die Kirche aber, die es nicht überrascht, dass sie ebenso wie ihr göttlicher Stifter gesetzt ist «zum Zeichen, dem widersprochen wird22», steht dennoch zu ihrem Auftrag, das gesamte Sittengesetz, das natürliche und evangelische, demütig, aber auch fest zu verkünden.
Die Kirche ist ja nicht Urheberin dieser beiden Gesetze; sie kann deshalb darüber nicht nach eigenem Ermessen entscheiden, sondern nur Wächterin und Auslegerin sein; niemals darf sie etwas für erlaubt erklären, was in Wirklichkeit unerlaubt ist, weil das seiner Natur nachdem wahren Wohl des Menschen widerspricht.
Indem sie das eheliche Sittengesetz unverkürzt wahrt, weiss die Kirche sehr wohl, dass sie zum Aufbau echter, menschlicher Kultur beiträgt; darüber hinaus spornt sie den Menschen an, sich nicht seiner Verantwortung dadurch zu entziehen, dass er sich auf technische Mittel verlässt; damit sichert sie die Würde der Eheleute. Indem die Kirche so dem Beispiel und der Lehre unseres göttlichen Erlösers getreu vorgeht, zeigt sie, dass ihre aufrichtige und uneigennützige Liebe den Menschen begleitet: sie will ihm helfen in dieser Welt, dass er wirklich als Kind am Leben des lebendigen Gottes teilhat, der aller Menschen Vater ist.23
III.
DIE KIRCHE ALS MUTTER UND LEHRMEISTERIN
19. Unsere Worte wären nicht der volle und deutliche Ausdruck der Gedanken und Sorgen der Kirche, der Mutter und Lehrmeisterin aller Völker, wenn sie den Menschen, die sie zur treuen Befolgung von Gottes Gebot über die Ehe auffordern, nicht auch in den schweren Situationen, unter denen heute Familien und Völker leiden, Hilfen böten bei der Durchführung einer sittlich geordneten Geburtenregelung. Die Kirche kann sich ja zu den Menschen nicht anders verhalten als unser göttlicher Erlöser: sie kennt die Schwachheit der Menschen, sie hat Erbarmen mit den Scharen, sie nimmt sich der Sünder an; sie muss aber jenes Gesetz lehren, das wirklich das Gesetz des menschlichen Lebens ist: jenes Lebens, das auf seine ursprüngliche Wahrheit zurückgeführt, von Gottes Geist bewegt wird.24
MÖGLICHKEIT DER BEOBACHTUNG DES GÖTTLICHEN GESETZES
20. Die Verwirklichung der Lehre über die rechte Geburtenregelung, die die Kirche als Gottes Gebot selbst verkündet, erscheint zweifellos vielen schwer, ja sogar ganz unmöglich. Aber wie jedes besonders hohe und wertvolle Gut verlangt dieses Gesetz vom einzelnen Menschen, von der Familie und von der menschlichen Gesellschaft feste Entschlüsse und viele Anstrengungen. Ja, seine Befolgung ist nicht möglich ohne die helfende Gnade Gottes, die den guten Willen des Menschen stützt und stärkt. Wer aber tiefer nachdenkt, wird erkennen, dass diese Anstrengungen die Würde des Menschen erhöhen und beitragen zum Wohl der menschlichen Gesellschaft.
SELBSTBEHERRSCHUNG
21. Sittlich geordnete Geburtenregelung aber verlangt von den Gatten vor allem eine volle Anerkennung und Wertschätzung der wahren Güter des Lebens und der Familie, ferner eine ständige Bemühung um allseitige Beherrschung ihrer selbst und ihres Trieblebens. Ganz sicher ist diese geistige Herrschaft über den Naturtrieb ohne Askese nicht möglich. Nur so vermag man die dem ehelichen Leben eigentümlichen Ausdrucksformen der Liebe in Einklang zu bringen mit der rechten Ordnung. Das gilt besonders für jene Zeiten, in denen man Enthaltsamkeit üben muss. Solche Selbstzucht, Ausdruck ehelicher Keuschheit, braucht keineswegs der Gattenliebe zu schaden; sie erfüllt sie vielmehr mit einem höheren Sinn für Menschlichkeit. Solche Selbstzucht verlangt zwar beständiges Sich-Mühen; ihre heilsame Kraft aber führt die Gatten zu einer volleren Entfaltung ihrer selbst und macht sie reich an geistlichen Gütern. Sie schenkt der Familie wahren Frieden und hilft, auch sonstige Schwierigkeiten zu meistern. Sie fördert bei den Gatten gegenseitige Achtung und Besorgtsein füreinander; sie hilft den Eheleuten, ungezügelte Selbstsucht, die der wahren Liebe widerspricht, zu überwinden, sie hebt bei ihnen das Verantwortungsbewusstsein für die Erfüllung ihrer Aufgaben. Sie verleiht den Eltern bei der Erziehung der Kinder eine innerlich begründete, wirkungsvollere Autorität: dementsprechend werden dann Kinder und junge Menschen mit fortschreitendem Alter zu den wahren menschlichen Werten die rechte Einstellung bekommen und die Kräfte ihres Geistes und ihrer Sinne in glücklicher Harmonie entfalten.
SCHAFFUNG EINER FÜR DIE KEUSCHHEIT GEDEIHLICHEN ATMOSPHÄRE
22. Bei dieser Gelegenheit wollen Wir die Erzieher und alle, die für das Gemeinwohl der menschlichen Gesellschaft verantwortlich sind, an die Notwendigkeit erinnern, ein Klima zu schaffen, das geschlechtlich zuchtvolles Verhalten begünstigt. So überwindet wahre Freiheit Ungebundenheit durch Wahrung der sittlichen Ordnung.
Alle, denen der Fortschritt der menschlichen Kultur und der Schutz der wesentlichen Güter der Seele am Herzen liegt, müssen einstimmig verurteilen, was bei den modernen Massenmedien dazu beiträgt, die Sinne aufzupeitschen und Sittenverfall zu verbreiten, ebenso jede Form von Pornographie in Schrift, Wort und Darstellung. Man soll doch nicht versuchen, solche Entartung mit Berufung auf Kunst und Wissenschaft zu rechtfertigen25 oder mit dem Hinweis auf die Freiheit, die vielleicht in diesem Bereich die staatlichen Stellen gewähren.
APPELL AN DIE STAATLICHEN BEHÖRDEN
23. Daher richten Wir das Wort an die Regierungen, denen vor allem die Verantwortung für den Schutz des Gemeinwohls obliegt, und die soviel zur Wahrung der guten Sitten beitragen können: Duldet niemals, dass die guten Sitten eurer Völker untergraben werden; verhindert unter allen Umständen, dass durch Gesetze in die Familie, die Keimzelle des Staates, Praktiken eindringen, die zum natürlichen und göttlichen Gesetz im Widerspruch stehen. Um das Problem des Bevölkerungszuwachses zu lösen, kann und muss die staatliche Gewalt einen anderen Weg gehen: den einer weisen und vorausschauenden Familien- und Bildungspolitik, die das Sittengesetz und die Freiheit der Bürger sicherstellt.
Wir wissen sehr wohl um die Schwierigkeiten, die hier die Regierungen haben, zumal in den Entwicklungsländern. Unser Verständnis für diese begründeten Sorgen beweist Unsere Enzyklika «Populorum progressio». Hier aber wiederholen Wir mit Unserem Vorgänger Johannes XXIII.: «Bei Behandlung und Lösung dieser Fragen darf der Mensch weder Wege gehen noch Mittel anwenden, die im Widerspruch zu seiner Würde stehen, wie sie von jenen ungescheut angeboten werden, die vom Menschen und seinem Leben rein materialistisch denken. Unserer Überzeugung nach lässt sich die Frage nur lösen, wenn beim wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Fortschritt sowohl der einzelnen wie des ganzen Menschheitsgeschlechts die echt menschlichen Güter und Werte geachtet und gemehrt werden.26»
Sehr zu Unrecht würde man die göttliche Vorsehung für das verantwortlich machen, was im Gegenteil eine Folge kurzsichtiger Politik ist, mangelnden Sinns für soziale Gerechtigkeit, selbstsüchtiger Bereicherung, schliesslich fauler Nachlässigkeit in der Übernahme von Anstrengungen, die ein Volk mit all seinen Bürgern zu höherem Lebensstandard führen könnten.27 Möchten doch alle Verantwortlichen, auf die es ankommt - wie es einige schon ausgezeichnet tun -, immer wieder mit allen Kräften ans Werk gehen. Man darf nicht nachlassen im Eifer, sich innerhalb der grossen Menschenfamilie gegenseitig zu helfen; hier öffnet sich, meinen Wir, ein schier unbegrenztes Betätigungsfeld für die grossen überstaatlichen Einrichtungen.
AN DIE WISSENSCHAFTLER
24. Wir möchten nun Unsern Appell an die Männer der Wissenschaft richten, «die dem Wohl von Ehe und Familie und dem Frieden des Gewissens sehr dienen, wenn sie durch ihre gemeinsame wissenschaftliche Arbeit die Voraussetzungen für eine sittlich einwandfreie Geburtenregelung genauer zu klären versuchen28». Vor allem ist zu wünschen - was schon Pius XII. gesagt hat -, dass aufbauend auf dem Wissen um die natürlichen Zyklen die Medizin für eine sittlich geordnete Geburtenregelung sichere Grundlagen zu schaffen vermag29. So werden dann die Wissenschaftler - besonders die Katholiken unter ihnen - durch ihren Beitrag beweisen, dass es so ist, wie die Kirche lehrt: dass nämlich «es keinen wahren Widerspruch geben kann zwischen den göttlichen Gesetzen hinsichtlich der Übermittlung des Lebens und dem, was echter ehelicher Liebe dient30».
AN DIE CHRISTLICHEN EHELEUTE
25. Nun richtet sich Unser Wort insbesondere an Unsere Söhne und Töchter, besonders an diejenigen, die Gott beruft, ihm im Ehestand zu dienen. Indem die Kirche die unumstösslichen Forderungen des göttlichen Gesetzes weitergibt, verkündet sie das Heil und schliesst in den Sakramenten Wege der Gnade auf: dadurch wird der Mensch eine neue Schöpfung, die in Liebe und echter Freiheit dem erhabenen Plan seines Schöpfers und Erlösers entspricht und Sinn hat für die leichte Last Christi.31
Indem sie in Demut seiner Stimme folgen, sollen die christlichen Eheleute daran denken, dass ihre Berufung zum christlichen Leben, die in der Taufe gründet, im Sakrament der Ehe entfaltet und gefestigt wurde. So werden sie «gestärkt und gleichsam geweiht», um ihre Aufgaben treu erfüllen, ihre Berufung zur Vollendung führen und vor der Welt das ihnen aufgetragene christliche Zeugnis geben zu können.32 Diese Aufgabe hat der Herr ihnen anvertraut, damit sie den Menschen jenes heilige und doch milde Gesetz offenbar machen, das ihre gegenseitige Liebe und ihr Zusammenwirken mit der Liebe Gottes, des Urhebers menschlichen Lebens, innig vereint.
Dass für das Leben christlicher Eheleute bisweilen ernste Schwierigkeiten auftreten, leugnen Wir keineswegs: denn wie für jeden von uns ist auch für sie «die Pforte eng und schmal der Weg, der zum Leben führt33». Dennoch wird die Hoffnung auf dieses Leben wie ein hellstrahlendes Licht ihren Weg erleuchten, wenn sie tapferen Sinnes bemüht sind, «nüchtern, gerecht und gottesfürchtig in dieser Welt zu leben34», wohl wissend, dass «die Gestalt dieser Welt vergeht35».
Deshalb sollen die Eheleute die ihnen auferlegten Opfer bereitwillig auf sich nehmen, gestärkt durch den Glauben und die Hoffnung, die «nicht zuschanden werden lässt: denn die Liebe Gottes ist ausgegossen in unsere Herzen durch den Heiligen Geist, der uns gegeben ward36». Sie sollen ferner in inständigem Gebet die Hilfe Gottes erflehen und vor allem aus der immer strömenden Quelle der Eucharistie Gnade und Liebe schöpfen. Sollten aber Sünden ihren Weg hemmen, dann mögen sie nicht den Mut verlieren, sondern demütig und beharrlich zur Barmherzigkeit Gottes ihre Zuflucht nehmen, die ihnen im Busssakrament in reichem Masse geschenkt wird. So können die Eheleute zu der ihnen als Gatten eigenen Vollkommenheit kommen wie der Apostel sie kennzeichnet: «Ihr Männer, liebet eure Frauen wie Christus die Kirche geliebt hat ... So sollen die Männer ihre Frauen lieben wie ihren eigenen Leib. Wer seine Frau liebt, liebt sich selbst. Hat doch niemand je sein eigenes Fleisch gehasst, sondern er hegt und pflegt es wie Christus seine Kirche ... Dieses Geheimnis ist gross: ich meine im Hinblick auf Christus und die Kirche. Wohlan, so liebe jeder von euch seine Frau ebenso wie sich selbst; die Frau aber stehe in Ehrfurcht zum Manne37.»
FAMILIENAPOSTOLAT
26. Eine der edelsten Früchte, die aus dem unentwegten Bemühen der Eheleute um die Befolgung des göttlichen Gesetzes heranreift, ist der häufige Wunsch der Eheleute, andere an ihrer Erfahrung teilhaben zu lassen. So fügt sich dem weiten Bereich der Laienberufung ein neues Apostolat ausgezeichneter Art ein: der Dienst jener aneinander, die in gleicher Situation stehen: die Eheleute übernehmen für andere Eheleute, denen gegenüber sie sich als Führer erweisen, eine apostolische Aufgabe. Das scheint heute eine besonders zeitgemässe Form des Apostolates zu sein38.
AN DIE ÄRZTE UND IHRE HELFER
27. Grosse Hochachtung zollen Wir den Ärzten und ihren Helfern, die in der Ausübung ihres Berufes mehr darauf schauen, was ein christliches Berufsethos von ihnen fordert als auf rein menschliche Interessen. Sie mögen beharrlich bei dem Vorsatz bleiben, sich für die Lösungen einzusetzen, die dem Glauben und der Vernunft entsprechen; sie mögen sich auch bemühen, ihre Berufskollegen für die gleiche Einstellung zu gewinnen. Zudem sollen sie es als besondere Aufgabe ihres Berufes betrachten, sich das notwendige Wissen zu erwerben, um in diesem schwierigen Bereich Eheleute, die zu ihnen kommen, recht beraten und ihnen verantwortbare Wege zeigen zu können, wie es mit Fug und Recht von ihnen erwartet wird.
AN DIE PRIESTER
28. Liebe Priester, liebe Söhne! Durch euren heiligen Beruf seid ihr Berater und geistliche Führer der einzelnen Menschen wie der Familien.
Voll Vertrauen möchten Wir Uns an euch wenden. Eure Pflicht ist es ja - Unser Wort gilt besonders den Lehrern der Moraltheologie -, die kirchliche Ehelehre unverfälscht und offen vorzulegen. An erster Stelle gebt ihr bei der Ausübung eures Amtes das Beispiel aufrichtigen Gehorsams, der innerlich und nach aussen dem kirchlichen Lehramt zu leisten ist. Wie ihr wohl wisst, verpflichtet euch dieser Gehorsam nicht so sehr wegen der beigebrachten Beweisgründe, als wegen des Lichtes des Heiligen Geistes, mit dem besonders die Hirten der Kirche bei der Darlegung der Wahrheit ausgestattet sind39. Ihr wisst auch, dass es zur Wahrung des innern Friedens der einzelnen und der Einheit des christlichen Volkes von grösster Bedeutung ist, dass in Sitten- wie in Glaubensfragen alle dem kirchlichen Lehramt gehorchen und die gleiche Sprache sprechen. Deshalb machen Wir Uns die eindringlichen Worte des grossen Apostels Paulus zu eigen und appellieren erneut an euch aus ganzem Herzen: «Ich ermahne euch, Brüder.... dass ihr alle in Eintracht redet; keine Parteiungen soll es unter euch geben, vielmehr sollt ihr im gleichen Sinn und in gleicher Überzeugung zusammenstehen40.»
29. Ferner, wenn nichts von der Heilslehre Christi zu unterschlagen eine hervorragende Ausdrucksform der Liebe ist, so muss dies immer mit Duldsamkeit und Liebe verbunden sein; dafür hat der Herr selbst durch sein Wort und Werk den Menschen ein Beispiel gegeben. Denn obwohl er gekommen war, nicht um die Welt zu richten, sondern zu retten41, war er zwar unerbittlich streng gegen die Sünde, aber geduldig und barmherzig gegenüber den Sündern.
Bei ihren Schwierigkeiten und Nöten sollten die Eheleute im Wort und im mitfühlenden Herzen des Priesters ein Echo der Stimme und der Liebe unseres Erlösers finden.
Redet mit Zuversicht, liebe Söhne, überzeugt, dass der Heilige Geist, welcher dem Lehramt bei der Darlegung der rechten Lehre beisteht, die Herzen der Gläubigen erleuchtet und sie zur Zustimmung einlädt. Es geht nicht ohne Gebet. Lehrt es die Eheleute; unterweist sie, dass sie oft, mit grossem Glauben, zu den Sakramenten der Eucharistie und der Busse kommen und niemals wegen ihrer Schwachheit den Mut verlieren.
AN DIE BISCHÖFE
30. Liebe und ehrwürdige Brüder im Bischofsamt! Am Ende dieses Rundschreibens wenden Wir Uns in Ehrerbietung und Liebe an euch. Mit euch teilen Wir besonders eng die Sorgen um das geistliche Wohl des Gottesvolkes. An euch richtet sich Unsere dringende Bitte: Setzt euch an der Spitze eurer Mitarbeiter, der Priester, und eurer Gläubigen restlos und unverzüglich ein für Schutz und Heiligkeit der Ehe; dafür, dass damit das Leben in der Ehe zu menschlicher und christlicher Vollendung kommt. Das sollt ihr als die grösste und verantwortungsvollste Aufgabe ansehen, die euch heute anvertraut ist. Ihr wisst sehr wohl, dass dieser Hirtendienst eine gewisse Abstimmung der pastoralen Bemühungen aufeinander erfordert, die alle Bereiche menschlichen Tuns umfasst: den wirtschaftlichen, den der Bildung und den gesellschaftlichen. Gleichzeitiger Fortschritt auf allen diesen Gebieten wird das Leben von Eltern und Kindern in der Familie erträglicher, leichter und froher machen. Bei ehrfürchtiger Wahrung von Gottes Plan mit der Welt wird auch das Leben der menschlichen Gesellschaft durch brüderliche Liebe reicher und durch wahren Frieden gesicherter werden.
AN ALLE MENSCHEN GUTEN WILLENS
31. Euch, ehrwürdige Brüder, liebe Söhne und Töchter, und euch alle, Menschen guten Willens, rufen Wir auf zu einem wahrhaft grossen Werk der Erziehung und des Fortschritts und der Liebe. Wir stützen Uns dabei auf die feste Lehre der Kirche, die der Nachfolger des heiligen Petrus, gemeinsam mit den Brüdern im katholischen Bischofsamt, treu bewahrt und auslegt. Dieses wahrhaft grosse Werk, davon sind Wir fest überzeugt, gereicht sowohl der Welt wie der Kirche zum Segen. Nur wenn der Mensch sich an die von Gott in seine Natur eingeschriebenen und darum weise und liebevoll zu achtenden Gesetze hält, kann er zum wahren, sehnlichst erstrebten Glück gelangen. Für dieses grosse Werk erflehen Wir nicht nur euch allen, sondern besonders den Eheleuten, vom allheiligen und allbarmherzigen Gott die Fülle himmlischer Gnade und erteilen euch als deren Unterpfand von Herzen Unseren Apostolischen Segen.
Rom, bei St. Peter, am 25. Juli 1968, am Fest des heiligen Apostels Jakobus, im sechsten Jahre Unseres Pontifikats.
PAPST PAUL VI.
Anmerkungen:
1 Vgl. Pius IX., Enz. Qui Pluribus, 9. Nov. 1846, Pii IX. P. M. Acta, Bd. 1, S. 9-10; Pius X., Enz. Singulari Quadam, 24. Sept. 1912, AAS 4 (1912), S. 658; Pius XL, Enz. Casti Connubii, 31. Dezember 1930, AAS 22 (1930). S. 579-581; Pius XII., Anspr. Magnificate Dominum, an den katholischen Weltepiskopat, 2. Nov. 1954, AAS 46 (1954), S. 671-672; Johannes XXIII., Enz. Mater et Magistra, 15. Mai 1961, AAS 53 (1961), S. 457.
4 Vgl. Catechismus Romanus Concilii Tridentini, II. Teil, c. CIII; Leo XIII., Enz. Arcanum, 10. Febr. 1880, Acta Leonis XIII., 2 (1881), S. 26-29; Pius XI., Enz. Divini Illius Magistri, 31. Dez 1929, AAS 22 (1930), S. 56-61; Enz. Casti Connubii, AAS 22 (1930), S. 545-546; Pius XII., Anspr. An die italienische medizinisch-biologische Vereinigung vom hl. Lukas, 12. Nov. 1944, Anspr. und Radiobotschaften, VI, S. 191-192; An die katholische Vereinigung der Hebammen Italiens, 29. Okt. 1951, AAS 43 (1951), S. 835-854; An den Kongress des Fronte della Famiglia und der Vereinigung der kinderreichen Familien, 28. Nov. 195 1, AAS 43 (1951), S. 857-859; An den 7. Kongress der internationalen Gesellschaft für Hämatologie, 12. Sept. 1958, AAS 50 (1958), S. 734-735; Johannes XXIII., Enz. Mater et Magistra, AAS 53 (1961), S. 446-447; Codex luris Canonici, c. 1067; c. 1068, § 1; c. 1076, §§ 1-2; Conc. Vat. II., Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 47-52.
5 Vgl. Anspr. Paul VI., An das Kardinalskollegium, 23. Juni 1964, AAS 56 (1964), S. 588; An die Kommission zum Studium der Probleme der Bevölkerung, der Familie und der Geburten, 27. März 1965, AAS 57 (1965), S. 388; An den Nationalkongress der italienischen Vereinigung der Hebammen und Gynäkologen, 29. Okt. 1966, AAS 58 (1966), S. 1168.
8 Vgl. Conc. Vat. II., Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 50.
9 Vgl. S. Thom, Aqu., S. Th., I-II, qu. 94, a. 2.
10 Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 50 und 51.
11 Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes. Nr. 49.
12 Vgl. Pius XI., Enz. Casti Connubii, AAS 92 (1930), S. 560; Pius XII., AAS 43 (1951), S. 843.
13 Vgl. Johannes XXIII., Enz. Mater et Magistra, AAS 53 (1961), S. 447.
14 Vgl. Catechismus Romanus Concilii Tridentini, II. Teil, c. VIII; Pius XI., Enz. Casti Connubii, AAS 22 (1930), S. 562-564; Pius XII., Anspr. und Radiobotschaften, VI (1944), S. 191-192; AAS 43 (1951), S. 842 bis 843; S. 857-859; Johannes XXIII., Enz. Pacem in Terris, 11. April 1963, AAS 55 (1963), S. 259-260; Gaudium et Spes, Nr. 51.
15 Vgl. Pius XI., Enz. Casti Connubii, AAS 22 (1930), S. 565; Dekret d. Hl. Off., 22. Februar 1940, AAS 32 (1940), S. 73; Pius XII., AAS 43 (1951), S. 843-844; AAS 50 (1958), S. 734-735.
16 Vgl. Catechismus Romanus Concilii Tridentini, II. Teil, c. VIII; Pius XI., Enz. Casti Connubii, AAS 22 (1930), S. 559-561; Pius XII., AAS 43 (1951), S. 843; AAS 45 (1953), S. 674-675; AAS 50 (1958), S. 734-735. Mater er Magistra, AAS 53 (1961), S. 447.
17 Vgl. Pius XII., Anspr. an den Nationalkongress der Vereinigung kath. Juristen Italiens, 6. Dez. 1953, AAS 45 (1953), S. 798-799
19 Vgl. Pius XII., Anspr. an die Teilnehmer des Kongresses der italien. Gesellschaft für Urologie, 8. 7. 1953, AAS 45 (1953), S. 674-675; AAS 50 (1958), S. 734-735.
20 Vgl. Pius XII., AAS 43 (1951), S. 846.
21 Vgl. AAS 45 (1953), S. 674-675; AAS 48 (1956), S. 461-462.
23 Vgl. Paul VI., Enz. Populorum Progressio, 26. März 1967, Nr. 21.
25 Vgl. Conc. Vat. II., Dekret Inter Mirifica, Über die sozialen Kommunikationsmittel, Nr. 6-7.
26 Vgl. Enz. Mater et Magistra, AAS 53 (1961), S. 447.
27 Vgl. Enz. Populorum Progressio, Nr. 48-55.
28 Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 52.
29 Vgl. AAS 43 (1951), S. 859.
30 Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 51.
32 Vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 48; Conc. Vat.II., Dogm. Konst. Lumen Gentium, Nr. 35.
33 Mt., 7, 14; vgl. Hebr., 12, 11.
38 Vgl. Dogm. Konst. Lumen Gentium, Nr. 35 und 41; Pastoralkonstitution Gaudium et Spes, Nr. 48-49; Conc. Vat. II., Decretum Apostolicam Actuositatem, Nr. 11.
39 Vgl. Dogm. Konst. Lumen Gentium, Nr. 25.
Quelle dieses Textes:
Humanae vitae, Die Weitergabe des menschlichen Lebens, Christiana Verlag, Stein am Rhein
ISBN 3-7171-0801-8